Zum 100. Jahrzeit
Von John Löwenhardt und Sebastian Zimmer
Salomon Georg Loewenhardt starb am 18. Februar 1923, sein Grabstein steht auf dem jüdischen Friedhof Weißensee zu Berlin. Mit dieser Gedenkschrift feiern wir sein 100. ‘Jahrzeit’.
Salomon wurde 26. August 1873 geboren in Oberhemer im Sauerland, als erster von 12 Kinder. Vater Levy Löwenhardt lebte 1840-1898 und war Metzger. Er war am 15. Oktober 1863 zur Preußischen Armee einberufen und kämpfte während des Deutschen Krieges in den Schlachten bei Münchengrätz und Königgrätz (28. Juni – 3. Juli 1866). Salomons Mutter Pauline Lennhoff, 1847 geboren in Plettenberg, wurde 85 Jahre alt. Sie starb in 1933, vieles wurde ihr erspart. Die Eltern hatten am 3. September 1872 in Hemer geheiratet als Levi 32 Jahre alt war, und Pauline 24 Jahr.
Salomon, der erstgeborene, wurde benannt nach seinem Großvater Salomon (1792-1864) der in den jahren 1840 in Oberhemer einer der zehn jüdischen Familienhäupter war. Salomon senior gehörte zu den sieben dieser zehn die schreiben konnten. Er war auch ziemlich fromm. Als er am Samstag 5. August 1843 im Gemeindeamt anzeige machte vom Geburt seines dritten Sohnes, Joseph, acht Tage vorher, verweigerte er die Akte zu unterschreiben “weil er Schabat habe”. Wahrscheinlich kam er direkt von der Synagoge in Menden wo Joseph beschnitten wurde.
Wann, und wieso, Salomon der jüngere den zweiten Namen Georg annahm ist uns unbekannt. Jedenfalls war er schon 1916 unter diesen Namen bekannt in seinem Geburtsort Hemer. Er hatte am 28. August 1903 – zwei Tage nach seinem 30. Geburtstag – in Berlin Selma Dobriner geheiratet, geboren in Filehne (Wielen, Posen, 8.10.1870). Sie war also 32 Jahre alt. Am Tag der Heirat war Salomons Mutter Pauline 55 Jahre alt und die Geschwister 8 (#12, Hermann) bis 28 (#2, Isidor).
Selma und Salomon-Georg lebten in der Kleiststraße 3 in Berlin Charlottenburg (jetzt Schöneberg) und führten im selben Haus ein Bettfedernfachgeschäft ‘mit reinigung und elektrischem Betrieb’. Sie bekamen vier Kinder: Edith (5.12.1904); Gerda (30.03.1907); Käthe (7.07.1908) und Heinz (12.07.1910).
Krieg und Judentum
Salomon war 40 Jahre alt, die Kinder 4 bis 9, als er im August 1914 mobilisiert wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts waren er und seine elf Geschwister wohl exemplarisch für die Masse der deutschen Juden die für Anerkennung strebten. Erst kurz zuvor (1871, zwei Jahre bevor Salomon geboren wurde) hatten sie gleiche Rechte bekommen wie der Rest der deutschen Bevölkerung. Um diese staatliche Emanzipation musste jedoch in vielen Ländern noch gekämpft werden. Weil sie Juden geblieben sind (viele passierten zum Christtum) spürten sie den Willen zu beweisen, dass sie ebenso gute, so nicht bessere Deutsche waren als ihre Landsmänner und Frauen. So auch Salomon und Geschwister.
Zwei Historiker helfen uns zu verstehen wie die Wirkung des Kriegsausbruches auf den deutschen Juden war: Derek Penslar der Harvard Universität (USA) und der Israëlische Historiker-Journalist Amos Elon. In Zu einer anderen Zeit (2002) hat Elon ein schreckliches Bild der Kriegshysterie gemalt die es auch unter deutschen Juden zu dieser Zeit gab. Es war eine wirkliche Massenpsychose. Fast alle jüdische Intellektuelle zeigten sich blutrünstiger als die Deutschen. Der Anteil der Juden unter Kriegsfanatiker war unverhältnismäßig hoch, schreibt Elon. Die superiorität der deutschen Kultur rechtfertigte in ihre Meinung die deutsche Sache und wurde den Sieg herbeiführen. Wichtig war es für den Juden dass der Krieg gegen Russland gerichtet war, das Land mit einem despotischen, antisemitischen Führung und zahlreiche Pogrome.
Die jüdische Hoffnung auf totale Integration wurde gestärkt von den Rede des Kaisers am 4. August 1914. Kaiser Wilhelm II beanspruchte das die verschiedene Gläuber und Parteien irrelevant geworden waren. Es gab jetzt ein vereinigtes deutsche Volk. Die Juden dankten ihm dafür. Paul Rieger vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens schrieb dass “die Nation jetzt wie eine einzige Familie ist.” Das bösartige Gift das bis vor kurzem über den deutschen Juden gegossen wurde, war nun auf England gerichtet.
Gott war auf deutscher Seite und führende Rabbiner riefen um Annexion von Gebiete in Belgien, Frankreich und Russland. Leo Baeck, der prominente Reformrabbiner, sagte, dass Krieg zwar übel war, aber machte eine Ausnahme für diesen Krieg, den er ein “nützliches übel” nannte. Der Krieg wurde führen zu neuen Verknüpfungen deutscher allen Glaubens.
Sehr viele Juden meldeten sich als Kriegsfreiwilliger; der Centralverein förderte sie dazu auf. Die kleine Anzahl deutscher Zionisten waren plötzlich für Deutschland und für den Krieg. Es gab sogar deutsche Zionisten die aus Palästina zurückkehrten, um in Deutschland Freiwilliger zu werden, wie der Arzt Elias Auerbach aus Haifa. Kurt Blumenfeld, vorsitzender der deutschen Zionisten, begrüßte den “Geist von 1914” und sagte die deutsche Kultur würde den Welt heilen.
Es war in dieser Zeit durchaus riskant, Kriegsgegner zu sein. Deshalb gab es unter Juden nur sehr wenige kritische Stimmen. Albert Einstein und Karl Kraus waren wohl die bekanntesten Gegner der Kriegspsychose. Gegenüber gab es eine lange Reihe jüdischer Kriegsfanaten: Freud, Buber, Stefan Zweig, Herman Cohn, Klemperer. Der jüdische Dichter Ernst Lissauer (1882-1937) verfasste 1914 einen “Hassgesang gegen England”, das sofort in ganz Deutschland bekannt wurde. Es wurde gedruckt und an alle Soldaten verteilt. Ich zitiere 13 der 51 Sätze:
Was schiert uns Russe und Franzos
Schuß wider Schuß und Stoß um Stoß
wir lieben sie nicht
Wir hassen sie nicht
Wir schützen Weichsel und Wasgaupaß
Wir haben nur einen einzigen Haß
Wir lieben vereint, wir hassen vereint
Wir haben nur einen einzigen Feind
. . . .
Wir wollen nicht lassen von unserm Haß
Wir haben alle nur einen Haß
Wir lieben vereint, wir hassen vereint
Wir haben alle nur einen Feind:
England
Frontsoldaten
Zur kriegsbeteiligung von Salomon-Georg und seine acht Brüder verfügen wir über sechs Dokumente. Zwei Bilddokumente, drei Zeitungsartikel und ein Büchlein (Quellen unten). Gleich fällt es den Leser auf, dass das Wort jüdisch (oder israelitisch) in den nicht-jüdischen Veröffentlichungen aus 1916-17 nicht existiert. Die Hemersche und Dortmunder Zeitungen verschweigen einfach das es um eine jüdische Familie geht, obwohl der Familienname Löwenhardt doch bestimmt einen jüdischen Klang hatte. Beide Zeitungen loben diese Familie die nicht weniger als neun Söhne an die Kriegsfronten ‘geliefert’ hat – kein Wort aber über ihre jüdische Identität.
Bei den zwei Veröffentlichungen des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF) ist es selbstverständlich nicht so. Dieser Bund kämpfte in den 30-er Jahre gegen den antisemitismus. Sie widersetzte sich den Mythos Juden seien Feiglinge und Dienstausweicher, die während des Weltkrieges nicht für Deutschland gekämpft hätten. Der RjF gab Juden, insbesondere jüdischen Veteranen, Mittel um sich gegen die antisemitischen Verleumdungen zu wehren. Das Buchlein z.B war herausgegeben, so dass Veteranen sich antisemitische Gesprächspartner mit harte Tatsachen verwehren konnten. Es empfahl sich als “zielsichere Taschenwaffe” gegen bösartige “Märchen”.
Alle neun Löwenhardt Brüder waren Frontsoldaten. Keiner diente im Hinterland. In der Deutsch-jüdischen Gemeinschaft war unsere Familie ziemlich hervorragend. Am 18. Februar 1938 veröffentlichte Der Schild eine “Kriegsopfer-Statistik kinderreicher Familien”. Sie enthielt eine Liste von 142 jüdischen Familien, die fünf oder mehr Söhne an die Fronten hatten “geliefert” oder “geopfert”.
139 dieser 142 Familien hatten fünf bis acht Söhne an den Fronten. An der Spitze, mit zehn Söhne-Frontsoldaten standen die Familien Feibusch (Rogasen) und Baum (Schrimm/Posen, jetzt Śrem in Polen). Die einzige Familie mit neun Söhne-Frontsoldaten war die der Löwenhardts aus Dortmund/Hemer.
Salomon-Georg, dann 43 Jahre, war 1916-17 Landsturmmann bei einem Artillerie-Regiment in Rußland. Im Sommer 1917 wurde er das erste Mal verwundet. Bei Kriegsende im Jahre 1918 waren alle neun noch am Leben, fünf aber verletzt. Salomon hatte zwei Verletzungen. Sechs der neuen hatten das Eiserne Kreuz II bekommen.
Sobald sich der Kriegsverlauf verschlechterte, wurden die Juden zum Sündenbock gemacht. Insgesamt haben etwa hunderttausend deutsche Juden im 1. Weltkrieg gedient, 80.000 an den Fronten. Von ihnen starben 12.000. 68.000 überlebten, darunter 14-17.000 Kriegsverletzte.
Sechs der sieben 1933 noch in Deutschland lebende Löwenhardt Brüder wurden 1942-44 von ihren deutschen Mitbürgern ermordet, mit Frau und oft auch mit Kinder und Enkelkinder. Dazu gehören auch Salomons Frau und sein Sohn Heinz. Salomon selbst war 1923 ‘rechtzeitig’ gestorben als Folge seiner schweren Kriegsverletzungen aus den Jahren 1917-18.
Quellen
– Landsarchiv Nordrhein-Westfalen, Münster, Regierung Arnsberg 43678: Zulassung jüdischer Viehhändler auf den Märkten
– Amos Elon, The pity of it all. A Portrait of the German-Jewish Epoch, 1743-1933. Picador 2002. Deutsche Ausgabe: Zu einer anderen Zeit: Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743-1933)
– Derek J. Penslar, Jews and the Military. A History. Princeton U.P. 2013
– Israelitisches Familienblatt, 15. Juni 1916, “Aus unserer Kriegsbildermappe”
– Hemersche Zeitung, 11 Juli 1916,“Eine alte, alte Hemersche Familie”
– Unbekannte Dortmunder Zeitung, ca. 1916 – 1917, „Die neun Söhne der Witwe Löwenhard, Dortmund, Gerberstraße 12, die sämtlich im Felde stehen“
– Der Schild (Reichsbund jüdischer Frontsoldaten), 18. Februar 1938, “Statistisches aus unserer Kriegsopfer-Arbeit; Kriegsopfer-Statistik kinderreicher Familien”
– Statistik des Bundes jüdischer Frontsoldaten. Dortmund-Hörde (Stadt und Land), Jahr unbekannt (Carol Kahn Strauss Family Collection)
– LoewenhardtFoundation.org
… sehr interessanter Artikel! Ich war noch vor ein paar Tagen in Hemer und arbeite in Dortmund. Die Federnproduktion und Metallverarbeitung hat dort Tradition. Es war eine Freude darüber zu lesen – danke fürs Teilen!
Vielen dank Ansgar.